KI zwischen Hype und Realität
Künstliche Intelligenz prägt zunehmend die strategische Agenda vieler Unternehmen – und gleichzeitig zeigt sich, dass der Weg von der Vision zum messbaren Erfolg komplexer ist als erwartet. Auf der Gartner HR Symposium/Xpo™ conference 2025 in Orlando wurde deutlich: Zwischen technologischer Reife und realer Wertschöpfung besteht eine deutliche Diskrepanz.
Laut aktuellen Analysen erzielt nur etwa ein Fünftel der KI-Initiativen einen klaren geschäftlichen Nutzen. CFOs berichten sogar, dass 95% ihrer KI-Projekte keinen RoI lieferten. Obwohl viele Organisationen bereits KI einsetzen, bleibt der tatsächliche Return on Investment oft hinter den Erwartungen zurück. Produktivitätsgewinne werden zwar häufig berichtet, führen jedoch selten zu nachhaltigem Mehrwert oder Wachstum.
Die zentrale Erkenntnis: Unternehmen können die Potenziale von KI nur dann ausschöpfen, wenn sie nicht nur über Technologie, sondern über die Gestaltung der Arbeit selbst nachdenken.

Von Workforce- zum Work-Fokus: Die neue Logik der Personalarbeit
Traditionell liegt der Schwerpunkt von HR auf dem Menschen – auf Personalgewinnung, Weiterbildung und Kulturentwicklung. Doch in der KI-Ära verschiebt sich der Fokus: Nicht mehr allein die Belegschaft steht im Mittelpunkt, sondern die Arbeit als System.
Gartner beschreibt drei Stufen, in denen Unternehmen KI in ihre Wertschöpfung integrieren:
- Arbeit ergänzen (Augmenting Work): KI macht bestehende Prozesse effizienter oder genauer.
- Arbeit neu gestalten (Re-engineering Work): Prozesse werden vollständig rund um KI aufgebaut.
- Arbeit erfinden (Inventing Work): Es entstehen völlig neue, KI-basierte Tätigkeiten und Geschäftsmodelle.
Viele Organisationen konzentrieren sich derzeit auf die erste Stufe, die Unterstützung bestehender Aufgaben durch KI. Doch ohne ein grundlegendes Verständnis, wo und wie KI sinnvoll eingesetzt werden kann, bleibt der Nutzen begrenzt. Hier ist HR gefragt, die Strukturen zu schaffen, in denen Mitarbeitende Kompetenz, Vertrauen und Orientierung im Umgang mit neuen Technologien entwickeln.
Die doppelte Readiness: Technologie und Mensch im Gleichgewicht
Auch die IT-Perspektive bestätigt: Technologische Bereitschaft allein reicht nicht aus. Während die meisten Unternehmen inzwischen in KI investieren, sind ihre Mitarbeitenden und Strukturen häufig nicht auf die neuen Arbeitsformen vorbereitet.
Gartner spricht von einer notwendigen Balance zwischen „AI Readiness“ und „Human Readiness“. In vielen Fällen ist die technologische Seite weiter entwickelt als die menschliche. Das führt dazu, dass Potenziale ungenutzt bleiben oder gar Fehlentscheidungen entstehen, wenn Prozesse zwar automatisiert, aber nicht verstanden oder kulturell verankert werden.
Für HR bedeutet das: KI darf nicht isoliert als Technologieprojekt betrachtet werden, sondern als Veränderungsprozess in der Arbeitsorganisation. Investitionen in Schulung, Change Management und eine Kultur der Lernbereitschaft werden zum entscheidenden Faktor für den Erfolg von KI-Initiativen.
HR und IT als zwei Seiten derselben Medaille
Die Zukunft der Arbeit wird an der Schnittstelle zwischen HR und IT gestaltet. Während IT die technischen Grundlagen legt, verantwortet HR die menschliche und organisationale Dimension des Wandels. Beide Funktionen müssen eng zusammenarbeiten, um KI-Transformation ganzheitlich zu steuern.
Gartner empfiehlt, hierfür gemeinsame Governance-Strukturen zu schaffen – etwa funktionsübergreifende Planungsgremien, die die Veränderungen von Arbeitsprozessen koordinieren und priorisieren.
Auch Kontrollmechanismen („Control Towers“) für KI-Anwendungen können Transparenz schaffen, indem sie die wichtigsten Einsatzfelder und Risiken überblicken.
Unternehmen mit einem klar definierten Verantwortungsbereich für KI-Strategie – etwa durch die Rolle einer oder eines AI-Leiters – erzielen langfristig stabilere Ergebnisse. Entscheidend ist, dass HR in diese Steuerung aktiv eingebunden bleibt, um die Auswirkungen auf Rollen, Kompetenzen und Kultur frühzeitig zu gestalten.
Die „Ripple Effects“ der KI-Transformation
Jede technologische Neugestaltung von Arbeit hat Folgewirkungen – sogenannte „Ripple Effects“. Wenn Organisationen Prozesse automatisieren, ohne HR einzubinden, entstehen leicht strukturelle Lücken: Der Abbau von Einstiegspositionen kann zum Beispiel die Entwicklung künftiger Fachkräfte behindern.
HR muss daher stärker darauf achten, welche langfristigen Konsequenzen technologische Entscheidungen für die Talentlandschaft, Lernpfade und Nachfolgeplanung haben. Neben Kosten- und Effizienzfragen gehören auch ethische, soziale und kompetenzbezogene Überlegungen in jede KI-Entscheidung.
Eine vorausschauende HR-Governance fragt nicht nur, ob KI etwas übernehmen kann, sondern was es für die Organisation bedeutet, wenn sie es tut.
Neue Arbeitsformen, neue Rollen
KI wird in Zukunft nicht nur bestehende Tätigkeiten verändern, sondern auch völlig neue Arbeitsformen hervorbringen. Gartner prognostiziert, dass bis 2028 rund 15 % der alltäglichen Entscheidungen autonom durch KI-Systeme getroffen werden.
Unternehmen sollten diesen Wandel aktiv gestalten, statt ihm passiv zu begegnen. Anstatt vorschnell Personal abzubauen, braucht es Redeployment-Strategien, die Beschäftigte in neue, wachstumsorientierte Tätigkeiten überführen. Daraus entstehen neue Berufsbilder – etwa im Bereich Kontextgestaltung, KI-Überwachung oder Datenethik.
Für HR bedeutet das: Es gilt, die Architektur der Arbeit neu zu denken – inklusive Kompetenzmodellen, Karrierepfaden und Lernsystemen, die Mensch und Maschine in Einklang bringen.
Fazit: Arbeit neu gestalten – gemeinsam
Die Quintessenz der aktuellen Gartner-Analysen lautet: Wert entsteht nicht durch Technologie, sondern durch die Neugestaltung von Arbeit.
HR steht damit vor einer doppelten Aufgabe: Einerseits die Belegschaft auf den produktiven Einsatz von KI vorzubereiten, andererseits die Arbeit selbst zu überdenken. Welche Aufgaben werden künftig bleiben, sich verändern oder ganz neu entstehen.
Für HR-Führungskräfte ergeben sich daraus drei strategische Leitlinien:
- Strategisch denken: KI-Transformation ist Organisationsdesign, nicht nur Tool-Einführung.
- Interdisziplinär handeln: Zusammenarbeit mit IT, Daten- und Finanzbereichen ist entscheidend.
- Menschlich führen: Kompetenzaufbau, Vertrauen und Lernkultur sind die Basis jeder technologischen Erneuerung.
Wenn HR und IT gemeinsam handeln, kann KI vom Effizienztreiber zum echten Innovationsmotor werden und die Arbeit der Zukunft aktiv gestalten, statt ihr hinterherzulaufen.
FAQs
Warum betont Gartner den Wechsel vom Workforce- zum Work-Fokus?
Gartner sieht in der Künstlichen Intelligenz einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Statt sich nur auf Personalzahlen zu konzentrieren, sollen HR-Leader die Arbeit selbst neu gestalten – also Aufgaben, Prozesse und Rollen an die Möglichkeiten von KI anpassen.
Was bedeutet „Work-Fokus“ im Kontext von HR?
Ein Work-Fokus bedeutet, dass HR nicht mehr nur den Menschen, sondern die Arbeit als Ganzes betrachtet. Es geht darum, zu definieren, welche Tätigkeiten von Menschen, Maschinen oder in Zusammenarbeit erbracht werden sollen, um Wertschöpfung neu zu gestalten.
Welche drei Stufen der KI-Integration beschreibt Gartner?
Gartner unterscheidet drei Stufen: Augmenting Work (KI ergänzt menschliche Arbeit), Re-engineering Work (Prozesse werden rund um KI neu aufgebaut) und Inventing Work (neue, KI-basierte Arbeitsformen entstehen).
Warum scheitern viele KI-Initiativen an der Umsetzung?
Oft fehlt die Balance zwischen technologischer und menschlicher Bereitschaft. Unternehmen investieren in Systeme, ohne Mitarbeitende ausreichend vorzubereiten oder Arbeitsprozesse neu zu gestalten. Nur wenn Technologie und Human Readiness zusammenpassen, entsteht messbarer Nutzen.
Wie können HR und IT effektiv zusammenarbeiten?
HR und IT sollten gemeinsam Governance-Strukturen entwickeln, die KI-Strategien, Talentplanung und Prozessgestaltung verbinden. Interdisziplinäre Teams, klare Verantwortlichkeiten und eine geteilte Datenbasis fördern nachhaltige Ergebnisse.
Was sind die sogenannten „Ripple Effects“ von KI?
„Ripple Effects“ bezeichnen die indirekten Auswirkungen von KI-gestützter Automatisierung. Wird Arbeit neu organisiert, ohne HR einzubeziehen, können Wissenslücken, Kompetenzverluste oder Nachfolgeprobleme entstehen – diese Risiken sollte HR frühzeitig managen.
Welche neuen Rollen entstehen durch KI im Arbeitsumfeld?
Neue Berufsprofile entstehen, etwa Context Engineers (Kontextgestaltung für KI), AI Curators (Qualitätssicherung von KI-Ausgaben) oder Ethics Manager (Verantwortung und Transparenz in der KI-Nutzung). HR sollte diese Rollen aktiv fördern.
Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich für HR-Führungskräfte?
HR sollte strategisch denken, interdisziplinär handeln und menschlich führen. Dazu gehören: die Arbeit neu zu gestalten, Mitarbeitende für KI fit zu machen und eine Lernkultur zu fördern, die Innovation und Vertrauen stärkt.








