KI-Trainings im HR: Wenn aus Onlinekursen Offenbarungen werden sollen

von | Apr. 25, 2025 | Kant kommentiert, Schulung

Prof. Dr. Ortfried „Otti“ Kant
Prof. O. Kant ist Kolumnist auf KI-im-Personalwesen.de

Die digitale Transformation, so raunt es aus den Strategiepapieren, „durchdringt alle Bereiche des Unternehmens“. Was klingt wie ein Naturereignis, ist in Wahrheit ein gezielt orchestrierter Umbau von Entscheidungsarchitekturen – mit dem Personalwesen als neuralgischem Interface zwischen Technik und Menschbild. Auch hier regieren mittlerweile Algorithmen, und wo früher Bauchgefühl und Bewerbungsgespräch herrschten, klappern heute Matching-Engines und Predictive Scores.

Nun mag man einwenden: Alles halb so wild, die Kolleg:innen im HR müssen eben „fit gemacht“ werden. Und siehe da – der Markt für KI-Trainings floriert. Anbieter schießen aus dem Boden wie Compliance-Workshops nach dem letzten Datenschutzvorfall. Seit Februar 2025 wird das Ganze sogar gesetzlich flankiert: Die sogenannte KI-Kompetenzpflicht (eine Wortschöpfung wie aus dem Feuilleton des Bundesgesetzblatts) verpflichtet Unternehmen, ihre Belegschaft in Sachen künstlicher Intelligenz zu schulen. Hurra?

Vom Zertifikat zur Zirkusnummer

Doch halt. Ist ein „KI-Kurs für HR“ nicht ein bisschen wie ein Erste-Hilfe-Kurs für Chirurgen? Natürlich kann man ein paar Stunden Grundlagen in ein LMS-Format gießen, vielleicht noch mit Quizfragen wie: „Was ist ein Bias?“ (a) Ein Vorurteil, (b) ein Computerfehler, (c) ein IT-Mitarbeiter mit Akzent. Aber was dabei oft übersehen wird: HR ist kein homogener Apparat. Es ist ein soziales System mit eigener Sprache, eigenen Mythen und – man muss es so sagen – eigenen Abgründen.

Ein einzelnes Training, irgendwo im digitalen Off, kann das nicht adressieren. Weder die Silostrukturen der Organisation noch die impliziten Machtverhältnisse, die mit jeder neuen Technologie reproduziert werden. Wenn also das eigentliche Problem in der sozialen Einbettung von Technik liegt – warum behandeln wir es dann wie ein Modul in der betrieblichen Weiterbildung?

Vor-Ort-Trainings: Zwischen Aufwand und Aufklärung

Der oft belächelte „Präsenzworkshop“ könnte hier tatsächlich als Korrektiv dienen. Nicht weil Flipcharts irgendwie moralischer wären als Zoom-Breakouts, sondern weil der analoge Raum noch die Möglichkeit bietet, das Unausgesprochene zu thematisieren: Misstrauen gegenüber der Technik. Angst vor Automatisierung. Die stille Hoffnung, dass der Excel-Recruitingbogen doch nicht abgeschafft wird.

Ein guter Vor-Ort-Trainer ist kein Animateur, sondern ein Übersetzer – zwischen Tool und Kultur. Er (oder sie oder es) erkennt, dass die Einführung von KI keine technische, sondern eine soziale Intervention ist. Und dass es beim „Rollout“ nicht nur um Schnittstellen, sondern auch um Gesichtswahrung geht. Wer versteht schon, wie viele Reputationsnarrative in einer simplen Excel-Tabelle stecken?

Kosten? Klarheit. Nutzen? Kontext.

Natürlich, das Argument der „Kostenstruktur“ darf nicht fehlen. Onlinekurse sind günstig, aber mitnichten umsonst. Die versteckten Kosten – fragmentierte Aufmerksamkeit, technische Einstiegshürden, fehlender Kontext – zahlen meist die Teilnehmenden. Vor-Ort-Trainings hingegen sind teurer, ja. Aber sie machen transparent, was im Digitalen gerne verschleiert wird: Lernen ist Beziehungsarbeit. Und Beziehungen haben ihren Preis.

Man könnte auch sagen: Wer glaubt, digitale Transformation sei ein Sparprogramm, hat ihre eigentliche Währung nicht verstanden – Vertrauen.

Lernen als kollektiver Erkenntnisprozess

Vor-Ort-Trainings bieten einen weiteren, oft unterschätzten Vorteil: Sie ermöglichen etwas, das man im E-Learning-Jargon kaum findet – kollektive Irritation. Wenn Menschen gemeinsam entdecken, dass der neue CV-Parser nicht „neutral“, sondern schlicht kolonial codiert ist, dann ist das kein Störfall – sondern der Beginn von organisationalem Lernen.

Zugleich eröffnen sich Räume für das, was man in HR so gerne „Teambuilding“ nennt, aber in Wahrheit oft nur selten praktiziert: echte Auseinandersetzung mit einem Thema, das mehr ist als Technik – nämlich eine ethische Herausforderung mit impliziter Menschenbildfrage.

Fazit: Kein Training ohne Transformation

Wer KI in HR einführt, führt nicht einfach Tools ein – sondern neue Formen des Entscheidens, Bewertens und (Nicht-)Zustimmens. Diese Prozesse sind zu komplex, um sie in PDFs zu pressen. Sie brauchen Räume, Rituale, Resonanz. Vor-Ort-Trainings können solche Resonanzräume schaffen – vorausgesetzt, sie werden nicht als didaktisches Nebenformat, sondern als strategische Intervention begriffen.

Imperativ zum Abschluss:

Handle stets so, dass die Einführung von KI im HR nicht nur effizient, sondern auch erklärbar, befragbar und – im besten Sinne – streitbar bleibt. Denn wo Lernen zur bloßen Zertifikatsvergabe wird, da stirbt das Denken.

Impressum